Wertsicherung des Mietzinses – Rückforderung: Hoffnung der Mieter, Albtraum der Vermieter
Fast wöchentlich lesen wir in den Medien darüber, dass Vermieter vorgeschriebene Mietzinserhöhungen nun doch nicht an ihre Mieter zurückzahlen müssen.
Der Verfassungsgerichtshof, der ja nur über die Verfassungsgemäßheit einer für diese Frage wichtigen gesetzlichen Bestimmung entschied, sorgte für große Unruhe bei vielen Vermietern. Dass möglicherweise Mieterhöhungen bis zu 30 Jahre in die Vergangenheit an Mieter zurückbezahlt werden könnten, war natürlich ein Katastrophenszenario.
Nach Rechtsmeinung eines 5 Richter – Senats des Obersten Gerichtshofs nun im Juli 2025 wird aber nicht so heiß gegessen:
Es ist bei einer Klage eines Verbrauchers gegen einen Unternehmer schon zu berücksichtigen, was redliche Vertragsparteien beim Mietvertragsabschluss vereinbarten – unabhängig davon, was im Vertrag schriftlich fixiert wurde:
Nach dem Sachverhalt, geradezu ein Musterbeispiel ist für schlampiges Ausfüllen und Lesen von Vertragsformularen, hatten Vermieter und Mieterin (und ihr juristischer Berater, Ex-Gatte und Rechtsanwalt) überlesen, dass als Ausgangswert einer Wertsicherungsklausel nicht wie üblich ein Wert gewählt wird, der möglichst knapp vor dem Datum des Mietvertragsabschlusses lag:
Nein, ein fast 4 Jahre (!) in der Vergangenheit liegender Wert sollte der Wertsicherungsberechnung zugrunde gelegt werden – sodass die 3 % ige vereinbarte Schwellgrenze klarerweise schon mehrfach zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses überschritten sein musste. Das heisst, wenn man die Wertsicherungsklausel ernst nahm, dann hätte es bei genauem Lesen klar sein müssen, dass der Hauptmietzinsbetrag im Mietvertrag gar nicht (mehr) richtig sein konnte.
Zum Glück hatte der Vermieter einen Verwalter, dem dies rechtzeitig auffiel. Der Verwalter schrieb in weiterer Folge der Mieterin Mietzinserhöhungen vor, er ging aber von einem Indexwert aus, der kurz vor Mietvertragsabschluss von der Statistik Austria veröffentlicht worden war.
Der Oberste Gerichtshof (Senat 10) kam zum Ergebnis, dass die Zahlungen dieser Mietzinserhöhungen durch die Mieterin für den Vermieter nur so verstanden werden konnte, dass die Mieterin mit diesen Mietzinserhöhungen einverstanden ist.
Der OGH berücksichtigte, dass die Mieterin ein (!) Jahr pünktlich und ohne Vorbehalt den Mietzins an die Vermieter bezahlte und dass dadurch nach § 863 ABGB eine schlüssige Zustimmung zum Ausgangsmonat Dezember 2020 erfolgte.
Im Sachverhalt der Entscheidung liest man , dass der Mietvertrag auf die Dauer von 10 Jahren und 16 Tagen abgeschlossen worden war. Die Mieterin bezahlte den Mietzins ein Jahr lang pünktlich und ohne Vorbehalt.
Aus dem Datum der Geschäftszahl des Erstgerichts (Bezirksgericht Döbling, Geschäftszahl aus dem Jahr 2023, Urteil vom 29. 7. 2024) lässt sich schließen, dass die Mieterin schon (oder erst) nach einem Jahr darauf kam, dass Ihr Ex-Gatte den Vertrag offensichtlich genauso wie sie nicht ordentlich gelesen hatte.
Wie Mieterin und ihre anwaltliche Vertretung im gegenständlichen Verfahren nach diesem einem Jahr irrtümlicher Zahlung argumentierten, sind nicht bekannt.
Berücksichtigt man aber, dass Mieter bei befristeten Mietverhältnissen im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes sogar bis zu 10 Jahre rückwirkend nicht gerechtfertigte Leistungen zurückverlangen können, dass also der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Mieter sich bei einem befristeten Mietverhältnis vor Ende des Mietverhältnisses nicht trauen, unklare Regeln im Mietvertrag zu hinterfragen (weil sie sonst fürchten müssen, den Vertrag nicht zu verlängert zu erhalten) ist es aus Sicht der Mieterin in diesem Fall wirklich „Pech“, dass der Sachverhalt so lag, dass der OGH von einer schlüssigen Vertragsänderung ausging.
Der Sachverhalt, dem diese Entscheidung des OGH vom 30.7.2025 zugrunde liegt, ist doch einigermaßen einzigartig. Dem Autor dieses Blogs kam in den letzten 10 Jahren seiner Praxis so eine grobe Falschausfüllung eines Musterformulars nicht unter.
Durchaus nicht selten sind aber Verträge, bei denen Vermieter vergaßen, das Musterformular auszufüllen und daher ziemlich starke Indizien dafür vorliegen, dass zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift gar keine Wertsicherungsvereinbarung vorlag.
§ 6 Absatz 2 Z 4 KSchG gilt nicht bei Mietverträgen?!
Viel wichtiger als diese Einzelfallentscheidung des OGH ist aber seine Rechtsansicht, die bei der künftigen Überprüfung von Mietverträgen zu beachten ist, und über die Lösung des Rechtsfalls hier im Einzelfall hinausgeht:
Auf Dauerschuldverhältnisse (etwa Bestandverträge) die darauf angelegt sind, dass die Leistung des Unternehmers (Vermieters) nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Vertragsschließung vollständig zu erbringen ist, ist § 6 Absatz 2 Z 4 KSchG nicht anwendbar (Fettdruck in der veröffentlichten Entscheidung!).
Interessierte mögen selbst in der Entscheidung nachlesen, die sich mit den Argumenten anderer Senate des Obersten Gerichtshofs, anderer juristischer Veröffentlichungen sowie der Meinung des Verfassungsgerichtshofs sehr wohl auseinandersetzte.
Der erkennende Senat übergeht mA, dass etwa Universitätsprofessor Dr. Rudolf Welser (dem es durch seine Hartnäckigkeit gelang, die jahrzehntelange Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu ändern, wonach Konkurrenz zwischen Gewährleistung und Schadenersatz sehr wohl besteht) im Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz aus 1981 (S. 362, Kapitel 9 II C) sehr wohl die gleiche Ansicht wie die beiden anderen Senate des OGH und der Verfassungsgerichtshof vertritt: Er warf damals einen Blick über die Grenze zum deutschen AGB-Gesetz (welches ausdrücklich auf Leistungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses erbracht werden, keine Anwendung finden sollte), er aber die österreichische Regelung, die die Anwendbarkeit auf Dauerschuldverhältnisse nicht ausschließt, deshalb als gerechtfertigt ansieht, weil der Unternehmer für die ersten beiden Monate immerhin die Möglichkeit hat, durch „Ausverhandeln“ vorzusorgen.
Auch Apathy (in: Schwimann/Kodek, ABGB, 4. Aufl., Rz 78 zu § 6 KSchG) schloss sich der Auffassung der Anwendbarkeit auf Dauerschuldverhältnisse an, insbesondere durch Hinweis auf Schauer; Kathrein/Schoditsch; Dehn – wenngleich Koziol dazu kritisch gestanden sein dürfte).
Dieser Blog hat nicht das Ziel, sich in die Reihe der zahlreichen pro- und contra-Kämpfer dieser Rechtsfrage einzureihen, und sind diese Meinungen auf ihre Aktualität zu hinterfragen.
Es wird aber durchaus noch spannend werden, wie der mietenrechtliche Senat 5. Obersten Gerichtshofs in dieser Angelegenheit entscheiden wird. Es wird sich dabei ja wohl nur um eine Frage der Zeit handeln.
Verwunderung und/oder Erleichterung
Verwunderung an dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ließ nicht lange auf sich warten. Verwunderung war in sozialen Medien wie LinkedIn von Seiten durchaus maßgeblicher Universitätsprofessoren des Zivilrechts zu erkennen:
Senat 10 des Obersten Gerichtshofs, der mit äußerst namhaften Juristen besetzt ist, legte über mehr als 2 Seiten des Urteils dar, weshalb seine Ansicht der Nichtanwendung dieser Bestimmung des Konsumentenschutzgesetzes auf langfristige Mietverträge zwar durchaus anders ist als jene der Senate 2 und 8 des Obersten Gerichtshofs. Das reiche – mit Begründung – aber nicht aus, um einen verstärkten Senat mit 11 Richtern des Obersten Gerichtshofs über diese für die Praxis doch erhebliche Rechtsfrage entscheiden zu lassen. Interessierte mögen diese Begründung selbst nachlesen.
Für besonders Interessierte: Seit 1969 ergingen erst an die 70 Entscheidungen durch verstärkte Senate!
Erleichterung freilich gibt es auf Seiten der Immobilienwirtschaft und natürlich auch bei jenen „auf kleinen“ Vermietern, die gerade einmal so viele Wohnungen vermieten, dass sie als Unternehmer gesehen werden und daher die Bestimmungen des Konsumentenschutzgesetzes auf Ihre Mietverträge Anwendung finden.
Man kann durchaus nachvollziehen, dass eine Rückzahlung von Wertsicherungserhöhungen über Jahrzehnte hinweg wirtschaftlich für Vermieter eine Katastrophe sein kann: In aller Regel hat der Vermieter ja in den letzten Jahrzehnten Reparaturarbeiten am Haus durchführen lassen und musste natürlich aufgrund der allgemeinen Preissteigerungen die höheren Kosten durch die höheren Mieten finanziert.
Muss der Vermieter jetzt Mieten zurückbezahlen, kann nicht einfach bei den Professionisten im Nachhinein eine Preisreduktion verlangen.
Aus Sicht des sozialen Friedens sowie bei einer Abwägung einerseits der Folgen einer Rückforderbarkeit bis zu 30 Jahren für die Immobilienwirtschaft und andererseits des Umstandes, dass die Mieter die erhöhten Mieten bereits bezahlten und ihre Lebensumstände aufgrund der Mietenanhebungen vermutlich auch nolens volens anpassten wird man sich denken können, wie hoch der Druck auf den Obersten Gerichtshof und das Parlament derzeit ist.
Zukunftsaussicht / Was ist zu tun?
Das Parlament will im Herbst die Verjährungsfrist für solche Mietzinsrückforderung verkürzen. Häufig werden solche Änderungen auf anhängige Verfahren nicht angewendet, spricht es bleibt bei einer langen Verjährungsfrist.
Als Mieter sollte man sich jetzt noch bis September/Oktober überlegen, ob man damit leben kann von seinem Vermieter über viele Jahre hinweg Miete zurückzuverlangen und ihn möglicherweise dadurch sogar in wirtschaftliche Existenzprobleme zu führen.
Oder muss man doch im Einzelfall an seine Familie, die eigene wirtschaftliche Existenz und die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der letzten Jahre denken, und „egoistisch“ sein?
Durchaus auch ein moralisches Problem.
Eine „gemähte Wiese“ ist so ein Gerichtsverfahren (von beiden Seiten gesehen) mA durchaus nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch der mietenrechtliche Senat einer eher vermieterfreundlichen Auslegung anschließen wird, ist mA nicht gering.
Zum Nachlesen: